Synonym

Röntgenreizbestrahlung, Röntgentiefentherapie, Orthovolttherapie, Schmerzbestrahlung

Geschichte der Röntgenentzündungsbestrahlung

Die Röntgenentzündungsbestrahlung gutartiger, akuter und chronischer Entzündungen ist eine sehr alte und wirksame Methode, die fast genauso alt ist wie die Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahre 1895. Denn schon bald danach entdeckte man die positive Wirkung ionisierender Strahlen auf Entzündungen und Eiterungen sowie die Schmerzlinderung als „Nebenwirkung“, als man bei den damals noch notwendigen langen Belichtungszeiten und dem fehlenden Strahlenschutz Eiterungen, die im Feldbereich einer Diagnostikaufnahme lagen, schneller zur Abheilung brachte. Sehr treffend hat Hoffmann in seinen Ausführungen einen Nichtmediziner aus einem Brief zitiert, in dem dieser 1912 schreibt: „Verlange unbedingt eine Röntgenuntersuchung … diese Strahlen sind zum Verwundern..“ und er schreibt weiter, wobei er sich wahrscheinlich auf eine chronische Osteomyelitis bezog: „…, dass ich 18 Monate lang an Krücken umherstolperte, während ein Loch, das durch meinen Fuß hindurchging, in einem Fort zuwuchs und wieder aufbrach…., ließ ich ihn durchleuchten… und binnen 14 Tagen war er gesund.“

Durch diese Beobachtungen und Erfahrungen entwickelten sich rasch entsprechende therapeutische Konsequenzen und es wurde intensiv mit der Erprobung dieser neuartigen Therapieform bei entzündlichen Veränderungen begonnen. Besonders aber infolge fehlender exakter Dosierungsgrundlagen waren die Ergebnisse zunächst wechselhaft und die Methode trat wieder in den Hintergrund. Erst durch die umfangreichen neunjährigen klinischen und experimentellen Beobachtungen an mehr als 200 Patienten mit verschiedenen entzündlichen Prozessen, die Heidenhain und Fried 1924 auf den Deutschen Chirurgenkongress in Berlin vorstellten, war der Grundstein für die Entwicklung der Entzündungsbestrahlung gelegt und in der Folgezeit erschienen unzählige Veröffentlichungen darüber.

Trotz dieses umfangreichen Schrifttums ist die Röntgenentzündungsbestrahlung immer mehr in Vergessenheit geraten. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Zum einen wurden im Zeitalter der Antibiotika, Sulfonamide, Tuberkulostatika und Nebennierenrindenhormone der Therapiebereich der Entzündungsbestrahlung immer mehr eingeengt und teilweise ganz verdrängt. Zum anderen steht die Strahlenangst vieler Ärzte häufig ganz im Vordergrund der Argumente gegen Entzündungsbestrahlungen. Dies ist jedoch größtenteils unbegründet und resultiert häufig aus der Unkenntnis der Methode. Dies insbesondere deshalb, weil dieser Teil der Strahlentherapie wenig bekannt ist und über die Anwendung ionisierender Strahlen meist eine Tumorbestrahlung mit ihrer zell- und gewebszerstörenden Wirkung verstanden wird.

Strahlenbiologie

Aus der strahlenbiologischen Forschung ist nachgewiesen, dass die Dosierungen, die somatische und genetische Schäden hervorrufen können (sog. nicht stochastischer Schwellenwert) weitaus höher liegen, als die bei der Entzündungsbestrahlung verwendeten Dosierungen. Mit der richtigen Dosierung und Bestrahlungstechnik sowie bei konsequenter Abdeckung der Generationsorgane ist die Röntgenentzündungsbestrahlung gefahrlos.

Bei Messungen der Gonadenbelastung durch Auflegen von Kondensatorkammern auf die Gonaden berichtet Portmann schon 1965 in Übereinstimmung mit anderen Autoren über gemessene Gonadendosen von 0,01 bis 0,02 rad/Feld (0,0001 bis 0,0002 Gy) bei der Röntgenentzündungsbestrahlung bei Kniegelenken. Die Gonadenbelastung beträgt hierbei also ca. 6 Hundertstel der tragbaren Jahreshöchstbelastung von 0,16 rad (0,0016 Gy), gerechnet für die Normalbevölkerung nach den internationalen Richtlinien der ICRP (International Commission on Radiological Protection) bzw. liegt im Bereich der natürlichen jährlichen Strahlenbelastung.

Wirkungsmechanismen der Röntgenentzündungsbestrahlung

Hierzu gibt es drei verschieden Wirkungstheorien:

1. Die zellulär- fermentative Theorie

Hier wird eine Wirkung über eine gesteigert Leukotaxis, verursacht durch die Entzündungsbestrahlung und einen vermehrten Zerfall von Exudations- und Infiltrationszellen sowie einen erhöhten Anfall von proteolytischen Fermenten aus zerfallenden Leukozyten postuliert. Dadurch kommt es zu einem gewebsentquellenden Effekt, zu einer Anregung von Phagozytose und Steigerung von Resorptionsvorgängen.

2. Die neuroregulative Theorie

Über den Angriff einer H-Substanz am Gefäß-/Nervensystem, die unter der Bestrahlung freigesetzt wird, wird eine Wirkung auf das Gefäßendothel erklärt, die sich in einer Beschleunigung der Resorptionsvorgänge bei gleichzeitiger Verminderung von Hyperämie und Exudation äußert. Eine strahleninduzierte Beeinflussung von Grenzstrang und neuroendokrinem System soll zu einer Erregungsveränderung führen und durch die Vermittlung des vegetativen Nervensystems eine Umstellung der Lebensfunktion einzelner Zellen herbeiführen.

3. Elektrochemische Theorie

Wirkungsgrundlage hierbei ist die Verschiebung der Wasserstoffionenkonzentration im Gewebe.

Reichel konnte 1970 experimentell eine Frühazidose und eine lang anhaltende Spätalkalose nach Bestrahlung nachweisen. Der circulus viciosus der Entzündungsreaktion wird hierbei unterbrochen. 1952 wurde von Tobias und 1957 von Hudginson, Preston und Vogel die sog. Diffusionstheorie entwickelt. Diese sehen den Mechanismus der Strahlenwirkung in einer direkten Strahlenwirkung, wobei die Energie des ionisierenden Teilchens unmittelbar auf die reaktionsfähigen biologischen Strukturen übertragen wird und dort nach eventuell vorausgegangener intramolekularer Energieverschiebung Veränderungen hervorrufe.

Des weiteren beschreiben sie den Mechanismus der indirekten Strahlenwirkung, bei dem die Strahlenenergie zunächst auf Moleküle in der Nachbarschaft der reaktionsfähigen biologischen Strukturen übertragen wird und dann durch die intramolekulare Energiewanderung oder durch Transport über diffusible Energieträger auf das Erfolgsorgan einwirkt. Wenn demnach die Strahlenwirkung biologische Strukturen anregt, so bezieht sich das auf alle reaktionsfähigen Strukturen, z. B. auch auf Knorpelzellen und damit mögliche Wirkungen bei der Therapie der Arthrose durch Röntgenentzündungsbestrahlung. Bereits Scherer hat 1958 und später Klümper 1983 postuliert, dass die Chondrozyten durch die Röntgenentzündungsbestrahlung zur Synthese der Knorpelgrundsubstanzen aktiviert werden. Dadurch kann zumindest noch vorhandener Knorpel stabilisiert, möglicherweise auch teilweise regeneriert werden. Im menschlichen hyalinen Knorpelgewebe finden sich reichlich Energieträger, Enzyme für die Proteinsynthese sowie die anaerobe Verwertung der Energieträger.

Somit sind alle Voraussetzungen für einen regen Stoffwechsel gegeben (Brügger 1977), der den Knorpel als sehr lebendiges Organ ausweist. Und hier setzt die Hauptwirkung der Röntgenentzündungsbestrahlung an. Einerseits wird durch die Alkalisierung der entzündliche Reizzustand beseitigt, der wieder zu einer Normalisierung der synovialen und chondrozytären Funktion führt und zum anderen die Schmerzausschaltung eine bessere Gelenkbeweglichkeit und letztendlich besserer Ernährungszustand des Knorpels erzielt. Außerdem wird verhindert, dass Sauerstoffträger und Zytochrome in den vorwiegend anaerob arbeitenden Bereich des Knorpels eingeschleust werden und dort Knorpeldestruktionen hervorrufen.

Genauso wie durch die Röntgenentzündungsbestrahlung die Chondrozyten zur Matrix-Sythese aktiviert werden, werden auch die Synoviozyten zur Bildung von Hyaluronsäure angeregt, was letztendlich die Grundvoraussetzung für eine Normalisierung des Knorpelstoffwechsels darstellt. Voraussetzungen hierfür sind allerdings das Vorhandensein von noch ausreichend intaktem Knorpelgewebe, dass schon allein aus diesem Grunde eine frühst mögliche Durchführung der Röntgenentzündungsbestrahlung gefordert werden muss.

Sie stellt somit die Basistherapie für die Behandlung der Arthrose aller großen Gelenke dar.

Indikation

  • Arthrosen der großen und kleinen Gelenke mit synovialitischen Begleitreaktionen
  • akute inflammatorische tendinöse Prozesse (z. B. Achillessehnentendinitis, Epicondylitis Patellasehnentendinitis, Plantarfasciitis)
  • posttraumatische Gewebsalterationen, bei der eine Beschleunigung des Heilverlaufs gewünscht wird (z.B. Kapselbandverletzungen)
  • chron. Tendinopathien im Sinne der chron. degenerativen bzw. chron. proliverativen Entzündungsreaktion Muskelverletzungen
  • Symptomenkomplex der chron. „Vertebralsyndrome“ jeglicher Genese
  • aseptische Nekrosen
  • Frakturen

Kontraindikationen

  • Schwangerschaft
  • Jugendliche mit offenen Epiphysenfugen
  • Bestrahlung LBH-Region bei Patienten im fertilen Alter
  • Sportler mit vorrangig Instabilitätsproblemen an Gelenken
  • Sportler mit eindeutiger Läsion und OP-Indikation

Ergebnisse

Abhängig von Erkrankungsdauer, Fraktionierungsintervall, Gesamtdosis, Röhrenspannung, Filter.

  • Sehr gute Ergebnisse bei Sehnen und Wirbelsäulenerkrankungen
  • Gute bis sehr gute Ergebnisse bei Gelenkarthrosen, insbesondere der großen Gelenke, abhängig von Erkrankungsdauer und Schwere der Arthrose
  • Teilweise gute Ergebnisse bei Osteochondrosis dissecans (Ablösung eines Knorpelknochenstückes), Muskelverletzungen und Ermüdungsbrüchen